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Schulterinfo.ch - Parsonage-Turner-Syndrome - Neuralgic Amyotrophy

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Zusammenfassung

Die neuralgische Amyotrophie, auch idiopathische Brachialplexus-Neuropathie oder Parsonage-Turner-Syndrom genannt, ist eine multifaktorielle Erkrankung mit Schmerzen und Lähmungen im Innervationsgebiet des Plexus brachialis.

Für die Entstehung der neuralgischen Amyotrophie können verschiedene Mechanismen verantwortlich gemacht werden, wie z.B.: Autoimmuntrigger, biomechanische Belastungen und Veränderungen am SEPT9-Gen.

Die Patienten stellen sich mit plötzlich auftretenden Schmerzen in der Schulter und/oder im Oberarm vor, die innerhalb weniger Stunden unerträglich werden, gefolgt von einer Parese innert Stunden bis Tage.

Die Diagnose wird in erster Linie klinisch gestellt. In unklaren Fällen können jedoch Elektromyographie und MRT- oder Ultraschalluntersuchungen hilfreich sein.

In der akuten Phase muss eine angemessene Analgesie verabreicht werden. Wenn die Diagnose innerhalb eines Monats nach Beginn der Symptomatik gestellt wird, hat sich die Verabreichung von oralen Kortikosteroiden über 2 Wochen als erfolgreiche Behandlungsstrategie erwiesen. Nach der ersten Schmerzattacke ist die Physiotherapie von großer Bedeutung. Die Ultima Ratio besteht aus einer intrafaszikulären Neurolyse und Grafting.

Allgemeines


Definition

Die neuralgische Amyotrophie (NA), auch idiopathische Brachialplexus-Neuropathie oder Parsonage-Turner-Syndrom genannt, ist eine multifaktorielle Erkrankung mit plötzlichem Beginn, die sich durch starke Schmerzen und Paresen im Innervationsgebiet des Plexus brachialis äußert.

Ätiologie

Da es sich bei der NA um eine relativ komplexe Krankheit handelt, ist die genaue Pathophysiologie noch nicht gänzlich geklärt worden. Was die verschiedenen Krankheitsmechanismen betrifft, so kann die NA in zwei verschiedene Kategorien unterteilt werden: Hereditäre NA (HNA) und idiopathische NA (INA). Veränderungen auf dem Chromosom 17q25, die für das Septin-9-Protein (SEPT9) kodieren, sind für die Entstehung der HNA verantwortlich. Jedoch wird sie nicht nach der klassischen Genetik vererbt und weist somit eine Penetranz von 80-90% auf [1]. Veränderte Versionen des Proteins binden und bündeln Mikrotubuli [3].

Als wahrscheinlichster Mechanismus werden Autoimmuntrigger diskutiert, die bei 50 % der Patienten vor der Symptomatik der NA gefunden wurden. Auslöser waren meist Infektionen (Hepatitis E, Coxsackie A2 usw.), Operationen, Geburten und körperlicher oder psychischer Stress [2].

Biomechanische Belastungen sind ein weiterer Faktor, der mit NA in Verbindung gebracht wird. In bis zu 10 % der Fälle geht einer neuralgischen Amyotrophie eine körperlich anstrengende und/oder ungewöhnliche Belastung der oberen Extremität voraus [1]. Dies wird so erklärt, dass die mechanische Erschöpfung zu einer Entzündung der Nerven und damit zu einer Lockerung der Blut-Nerven-Schranke führt.

Epidemiologie

Die Gesamtinzidenz liegt bei 1/1000/Jahr, wobei Männer doppelt so häufig betroffen sind wie Frauen. Das mittlere Erkrankungsalter wird bei INA auf 40 Jahre und bei HNA auf 25 Jahre geschätzt [1], wobei Patienten im Alter von 3 bis 80 Jahren betroffen sind [3]. Die INA ist Berichten zufolge 10-mal häufiger als ihr erbliches Gegenstück [4]. In 97 % der Fälle tritt die Pathologie asymmetrisch auf und betrifft die rechte obere Extremität doppelt so häufig wie die linke obere Extremität [3].

Klinik


Im Allgemeinen manifestiert sich sowohl die erbliche als auch die idiopathische NA in 3 aufeinanderfolgenden Phasen:

  1. Eine schmerzhafte Phase
  2. gefolgt von einer Phase mit Schwäche, Amyotrophie und sensorischen Defiziten,
  3. die schließlich in eine Phase der Heilung übergeht [3].

In der schmerzhaften Phase entwickeln die Patienten plötzlich auftretende neuropathische Schmerzen in der Schulter und/oder im Oberarm, die innerhalb weniger Stunden unerträglich werden. Der Schmerz kann 1 Tag bis zu 2 Monate lang anhalten [3]. Die Phase der Schwäche, der Amyotrophie und der sensorischen Defizite beginnt in der Regel innerhalb eines Tages oder bis zu einem Monat nach Beginn der Schmerzen. Die am häufigsten betroffenen Muskeln sind der M. Infraspinatus (72 %), der M. Serratus anterior (70 %), der M. Supraspinatus (65 %), der Bizeps (61 %), der M. Rhomboideus und der M. Pronator teres (53 %) [3]. Die Parese zeigt sich häufig als Scapula alata, Defizite bei der Außenrotation und/oder Beugung von Daumen und Zeigefinger. Die Patienten sind daher nicht in der Lage, das "OK-Zeichen" zu machen. Dies wird in der aktuellen Literatur oft auch als klassische Trias bezeichnet, da sie für die NA nahezu pathognomonisch ist. Darüber hinaus äußern sich sensorische Symptome bei der Mehrheit der Patienten als Kribbeln oder Taubheitsgefühl in der Schulter oder im Unterarm [1].

Es ist zu beachten, dass das klinische Bild von Patient zu Patient variiert, da eine große Anzahl verschiedener Nerven betroffen sein kann. Der Plexus brachialis selbst ist jedoch selten entzündet, vielmehr sind es die distalen Äste, die die oben genannten Symptome verursachen. Selten sind auch Nerven, die nichts mit dem Plexus brachialis zu tun haben, von einer strukturellen Schädigung bedroht. Dazu gehören der Nervus phrenicus, die Hirnnerven und der Plexus lumbosacralis.

Diagnostik


Anamnese

Der Untersucher sollte der Anamnese große Aufmerksamkeit schenken, da sie erste Hinweise auf eine neuralgische Amyotrophie liefern kann. Plötzlich auftretende Schmerzen mit Anzeichen einer Parese in der Schulter innerhalb von Stunden oder Tagen sollten immer auf die Notwendigkeit einer weiteren Abklärung hinweisen.

Krankheitsspezifische Diagnose

Die neuralgische Amyotrophie ist eine primär klinische Diagnose. Sie kann jedoch durch Labortests, Elektromyographie und bildgebende Diagnostik ergänzt werden.

Für eine klinische Diagnose inspiziert und palpiert der Untersucher die oberen Extremitäten sowie das Schulterblatt auf Asymmetrien in Kraft oder Atrophie. Insbesondere bei Skapulardyskinesie, Defiziten in der Schulterabduktion und -anteflexion, Schwäche des M. Serratus anterior, der Außenrotation, der langen Daumen- und Zeigefingerbeuger oder der Unterarmpronation kann sich eine neuralgische Amyotrophie vermuten lassen. Darüber hinaus gibt es weitere Anzeichen für eine NA, wie z. B. eine Atrophie des Musculus brachialis und unregelmäßige Atemmuster, die sich in Rückenlage verschlimmern [1].

Routinemäßige Bluttests sind bei einer neuralgischen Amyotrophie nie aussagekräftig, aber Labortests können in unklaren Fällen mit relativ geringen Schmerzen zum Ausschluss anderer ähnlicher Erkrankungen wie Drucklähmungen usw. herangezogen werden [1].

Zur Bestätigung der Diagnose kann eine Elektromyographie (EMG) durchgeführt werden. Das EMG kann Anzeichen einer Denervierung und/oder Reinnervation zeigen, doch sollte man sich nie ganz darauf verlassen, da die Wahrscheinlichkeit negativer Ergebnisse aufgrund von Stichprobenfehlern hoch ist (die an der NA beteiligten Muskeln werden im EMG oft nicht routinemäßig untersucht) [1]. Mit anderen Worten: Ein negatives EMG schließt eine NA nicht aus.

Bildgebende Verfahren wie Magnetresonanztomographie oder Ultraschall haben sich noch nicht als zuverlässige Diagnoseinstrumentarien erwiesen, da die meisten visuellen Veränderungen nur vorübergehend sind und zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht entdeckt werden können. Betroffene Nerven zeigen ''sanduhrförmige'' Einschnürungen sowie eine Schwellung des Perineuriums. Kombiniert mit der Möglichkeit des Ausschlusses etwaiger Differentialdiagnosen und der präoperativen Planung, sollten MRT und US deshalb als wertvolle diagnostische Instrumente angesehen werden [2]. Fallbeispiele können unter Radiopedia aufgerufen werden.

Differentialdiagnose

  • Muskuloskelettale / myofasziale Schulterschmerzen
    • Allmähliche Zunahme der Schmerzen, eingeschränkter passiver Bewegungsumfang
  • Zervikale Radikulopathie
    • Symptome passen nur zum Gebiet einer zervikalen Wurzel
  • Traumatische Nervenläsion
    • Eindeutiges Ereignis in der Vergangenheit
  • Nervenkompression
    • Faszikuläre Kompression ohne Anzeichen einer externen Nervenkompression
  • Hereditäre Neuropathie mit Neigung zu Drucklähmung (HNPP)
    • schmerzlos
  • Transversale Myelitis
    • Häufig bilateral und MRT zeigt Befall des Rückenmarks

Therapie


Es gibt verschiedene Behandlungsmöglichkeiten für Patienten mit NA. In der akuten Phase ist es von größter Bedeutung, eine angemessene Analgesie zu verabreichen. Eine Kombination aus langwirksamen Opioiden und NSAID hat sich als am Wirksamsten erwiesen [1]. Bei Patienten, die sich <1 Monat nach Beginn der Schmerzen vorstellen, sollten zwei Wochen lang Kortikosteroide verabreicht werden, da dies die Dauer der schmerzhaften Phase verkürzt und sich positiv auf die vollständige Genesung nach einem Jahr auswirkt [3]. Wird die Diagnose jedoch erst später gestellt, stehen die Schmerzen möglicherweise nicht im Vordergrund und Analgetika und/oder NSAR können ausreichen.

Die weitere konservative Behandlung besteht aus Physiotherapie, die sich auf die Wiederherstellung der Kraft der betroffenen Muskelgruppen konzentrieren sollte [2].

Wenn alle konservativen Behandlungen versagen, müssen chirurgische Verfahren in Betracht gezogen werden, wobei die beiden Optionen die intrafaszikuläre Neurolyse und Grafting sind. Jede Methode hat ihre eigenen Vorteile, abhängig von der Bildgebung und der intraoperativen Ausdehnung der Läsion [2].

Prognose und Verlauf


25% der Patienten mit idiopathischer NA und 75% der Patienten mit hereditärer NA erleiden in den ersten Jahren nach dem ersten Anfall einen zweiten oder mehrere Anfälle. Erneute Anfälle können dieselbe Extremität betreffen, aber auch verschiedene Körperteile oder dieselbe Extremität mit unterschiedlichen Mustern [1]. Außerdem weisen Rezidive im Allgemeinen eine geringere Symptomatik auf [4]. Patienten mit hereditärer NA haben einen ungünstigeren Verlauf, da sie frühere Anfälle, häufigere Rezidive, höhere Chance für extrabrachiale Anfälle, eine längere Schmerzdauer und häufiger eine dauerhafte Behinderung aufgrund multipler Anfälle haben [3].

Es wurden mehrere prognostische Faktoren ermittelt [4]:

Gute Prognose:

  • Vorwiegende Beteiligung des oberen Truncus des Plexus brachialis
  • Hauptsächlich sensorische Symptome

Schlechte Prognose:

  • Anhaltende Schmerzen
  • Anhaltende Schwäche

Insgesamt lässt sich sagen, dass die Prognose nicht günstig ist. Zwei Jahre nach dem ersten Auftreten leiden 25 bis 33% der Patienten immer noch unter starken Schmerzen, und mehr als 50% haben aufgrund der NA Probleme im täglichen Leben. Nur etwa 4% der Patienten erholen sich vollständig von der neuralgischen Amyotrophie [1].

Referenzen


1.Van Eijk, Jeroen J.J., Jan T. Groothuis, and Nens Van Alfen. 2016. "Neuralgic Amyotrophy: An Update On Diagnosis, Pathophysiology, And Treatment". Muscle & Nerve 53 (3): 337-350. doi:10.1002/mus.25008.

2.Gstoettner, Clemens, Johannes A Mayer, Stephanie Rassam, Laura A Hruby, Stefan Salminger, Agnes Sturma, Martin Aman, Leila Harhaus, Hannes Platzgummer, and Oskar C Aszmann. 2020. "Neuralgic Amyotrophy: A Paradigm Shift In Diagnosis And Treatment". Journal Of Neurology, Neurosurgery & Psychiatry 91 (8): 879-888. doi:10.1136/jnnp-2020-323164.

3.Seror, Paul. 2017. "Neuralgic Amyotrophy. An Update". Joint Bone Spine 84 (2): 153-158. doi:10.1016/j.jbspin.2016.03.005.

4.Smith, Clark C., and Anna-Christina Bevelaqua. 2014. "Challenging Pain Syndromes". Physical Medicine And Rehabilitation Clinics Of North America 25 (2): 265-277. doi:10.1016/j.pmr.2014.01.001.







Links:

Pubmed

UpToDate

Radiopedia