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Gicht

Der englische Begriff 'gout' kommt vom Lateinischen 'gutta', was Tropfen bedeutet. Im 13. Jahrhundert galt ein Tropfen schlechten Humors (Körperflüssigkeit) als Ursache der Gicht, wodurch verletztliche Gelenke betroffen wurden.


Ursachen der Hyperurikämie

Erhöhte Produktion

¤ Ernährung: purin- u. fructosereiche Nahrung, fasten

¤ Myelo- und lymphoproliferative Syndrome

¤ Psoriasis, Tumorlysesyndrom

Verminderte Ausscheidung

¤ Medikamente: Schleifen- und Thiaziddiuretika, Cyclosporin, ASS

¤ Renal: chronische Niereninsuffizienz verschied. Aetiologie

¤ Metabolisch/endokrin: Adipositas, Dehydratation,Hypothyreose, Lactazidose, Ketose

Kombiniert

¤ Alkohol, Schock


Die Gicht ist eine Erkrankung, bei der aufgrund einer Hyperurikämie (MSU-Übersättigung der Extrazellularflüssigkeit) eine Gewebeablagerung von Monosodium-Urat-Kristallen (MSU) auftritt, was zu einer oder mehreren der folgenden Manifestationen führt:

  • Gicht-Arthritis
  • Tophi (angehäufte Ablagerungen von MSU in artikulären, ossären, kartilaginösen oder bindgewebigen Bereichen)
  • Gicht-Nephropathie
  • Harnsäure-Nephrolithiasis

Wichtige Punkte:

  • Gicht ist die häufigste Ursache einer entzündlichen Arthritis in Männern über 40 Jahren.
  • Hyperurikämie und Gicht sind stark assoziiert mit Übergewicht und dem metabolischen Syndrom.
  • Ernährungs- und Lifestyle-Anpassungen sind im Management der Gicht empfohlen.
  • Der Rheumatologe sollte in jeglichen nichtdiagnostizierten Gelenkserkrankungen immer nach Gicht suchen, sogar wenn die Harnsäurelevel im Serum normal sind, das beteiligte Gelenk atypisch ist und die Anfälle chronisch oder polyartikulär sind.
  • Die Komorbiditäten des Patienten, einschliesslich der Nieren- und Leber-Funktion, sollten beurteilt werden um die sicherste Behandlungsoption für aktue Gicht oder chronische symptomatische Hyperurikämie festzulegen.
  • Behandlungsziel ist ein Serum-Harnsäurelevel von <6.0 mg/dL.
  • Prävalenz – je nach Land – bei 0,9–2,5 %
  • Hyperurikämie, mit oder ohne Kristallablagerungen, geht mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung renaler, kardiovaskulärer und metabolischer Komplikationen sowie einer erhöhten kar diovaskulären und Gesamtmortalität einher

Von Gicht betroffene Gelenke:

Die Gelenke der unteren Glieder sind typischerweise öfter betroffen als diejenige der oberen Glieder. Das erste Metatarsophalangeal-Gelenk (MTP) der grossen Zehe ist in 50% der ersten Anfälle und im Verlauf in über 90% aller Patienten betroffen.

Akute Gicht des ersten MTP wird auch Podagra, am Dauemn Cheiragra genannt. Nach den MTP-Gelenken sind, nach absteigender Häufigkeit, folgende Gelenke betroffen: Fussrist, Knöchel, Ferse, Knie, Handgelenk, Finger, Ellenbogen, Wirbelsäule, Weichteile


Radiographische Merkmale:

  • Gelenke
    • Gelenkserguss (frühestes Zeichen)
    • Erhalt des Gelenkspalts bis in die späten Stadien der Erkrankung
    • Abwesenheit von periartikulärer Osteopenie
    • Exzentrische Erosionen
    • Typisches Erscheinungsbild von "ausgestanzten" Erosionen mit sklerotischen Rändern in einer marginalen und gelenknahen Verteilung, mit überhängenden Kanten
  • Knochen
    • Ausgestanzte lytische Knochenläsionen
    • Überhängende sklerotische Ränder
    • Avaskuläre Nekrose
    • Normale Mineralisation
  • Umgebendes Bindegewebe
    • Tophi: pathognomonisch
    • Olekranon- und präpatelläre Bursitis
    • Periatikuläre Bindegewebsschwellung aufgrund von Kristallablagerung in Tophi um das Gelenk ist häufig
    • Eine Bindegewebsschwellung kann aufgrund der Kristalle hyperdens sein und die Tophi können auch verkalken (bei fehlender Nierenerkrankung ungewöhnlich)

Diagnostik - Wichtig in der Bildgebung; Ultraschall, DUAL-CT.

Nachweis von Uratkristallen im Gelenkspunktat oder aus Tophusmaterial: Nadelförmige, im Polarisationsmikroskop negativ doppelbrechende Kristalle.

Ultraschall: Typisch sind Doppelkonturen und es gibt durchaus Variationen im Erscheinungsbild der Tophi, aber die Tophi sind meist eher hyperechogen, heterogen und haben schlecht definierte Konturen. Es können mehrere zusammen gruppiert sein und von anechogenen Halos umgeben sein.

MRI: Signalzeichen von gichtigen Tophi sind normalerweise:T1: isointens T2: variabel, die Hauptzahl der Läsionen sind charakteristisch heterogen hypointens T1 C+ (Gd): Tophus reichert of Kontrastmittel an


Management der akuten Gichtattacke

  • nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR)
  • perorale Steroide in einer Dosierung von 20–40 mg Prednsionäquivalent für 3–6 Tage oder Prednison per os: 0.5mg/kg KG/d für 3-5 Tage, dann Ausschleichen über 7-10 Tage > Option bei schwerer Niereninsuffizienz
  • Colchizin (Colchizin: (in der Schweiz nicht zugelassen). Dosierung: 1mg sofort, 0.5mg nach 1 Std, dann ab 2.Tag: 2x0.5mg pro Tag. Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz (GFR 30-60), Leberinsuffizienz Child A/B, schwache CYP3A4- Hemmer: 1mg erster Tag, 1x0.5mg ab 2. Tag. Bei Therapie mit starken CYP3A4-Hemmer: Colchizine vermeiden)
  • Infiltration von Kortikoiden
  • Interleukin-1 Hemmer (Anakinra oder Canakinumab) für Patienten mit häufigen Attacken und Kontraindikation für NSAR, Colchizine, Steroide. IL-1 Blocker: Anakinra (in CH nicht zugelassen) 100mg s.c. 1x/d (ca Fr. 60/Injektion). Canakinumab (zugelassen für CAPS, syst. Juvenile idipath. Arthritis) 150mg s.c. alle 3 Mte (ca Fr. 14’000/Injektion)

Management der Hyperurikämie

  • Konsum von purinreichen Nahrungsmitteln wie Fleisch oder Meeresfrüchte einschränken
  • als Proteinquellen fettreduzierte Milch produkte bevorziehen
  • möglichst auf Alkohol (v.a. Bier und Spirituosen) und fruktosehaltige Süssgetränke sowie Fruchtsäfte verzichten
  • genügend Wasser trinken
  • Regelmässiger Kaffeekonsum und Kirschsaft ist protektiv
  • Bei Adipositas Reduktionsdiät
  • Hat der Patient Medikamente die Hyperurikämie verursachen?Aspirin, Diuretika (Thiaziddiuretika, Schleifendiuretika), Cyclosporin und andere zytotoxische/zytostatische Arzneimittel, Ethambutol/Pyrazinamid, Levodopa, Nicotinsäure. Umstellung auf Medikamente mit harnsöure-senkender Wirkung erwägen: Losartan, Calciumantagonisten.

Medikamentöse Therapie der Hyperurikämie

  • bei jedem Patienten mit definitiver Gichtdiagnose Einsatz einer harnsäuresenkenden Therapie (ULT, Urate Lowering Therapy) in Betracht ziehen (spätestens nach 1-2 Schüben). Ziel: Verhinderung der Bildung von Uratkristallen, Auflösung von Kristallen, Tophi. Korrekt durchgeführte Prophylaxe kann weitere Gichtschübe verhindern.
  • ULT ist indiziert bei Patienten mit zwei oder mehr Gichtanfällen pro Jahr sowie bei Vorliegen von Tophi, einer Urat-Arthropathie und/oder Nierensteinen
  • bei Tophi immer indiziert
  • bei destruktivem Verlauf
  • bei Nephropathie und Nierensteinen aufgrund der Gicht
  • Zielwert <360μmol/l (= 6 mg/dl)
  • tieferer Zielwert (<300 μmol/l) bei schwerer Gicht (Tophi, chronische Arthropathie, häufige Attacken)
  • ULT insbesondere bei jüngeren Patienten (<40 Jahre), bei sehr hohen Harnsäurespiegeln (>480 μmol/l) und/oder bei Komorbiditäten (eingeschränkte Nierenfunktion, Hypertonie, koronare Herzerkrankung, Herzinsuffizienz)
  • ULT nach Abklingen des akuten Gichtschubs (z. B. nach einer Woche) tiefdosiert beginnen und anpassen, bis Zielwert erreicht ist.
  • Bei Gichtanfall unter ULT, ULT nicht pausieren
  • Prinzipiell Therapie langfristig weiterführen
  • Patienten darauf hinweisen, dass das Einleiten einer ULT akute Attacken vorkommen können (oft in den ersten drei-sechs Monaten der Therapie)
  • In den ersten drei bis sechs Monaten der ULT Einsatz einer Prophylaxe mit NSAR, Colchizin (0,5–1 mg täglich) oder niedrig dosierten Kortikoiden p.o.
  • ad Colchizin: Dosisanpassung bei Nieren- und Leberinsuffizienz ist notwendig
  • ad Colchizin: Interaktion mit Hemmern des Cytochrom 3A4 wie Proteaseinhibitoren, Calciumantagonisten und Antimykotika Typ Triazole
  • Durch schrittweise Erhöhung der ULT-Dosis kann Anfallsrate reduziert und bei Allopurinol Auftreten von allergischen Nebenwirkungen vermindert werden

Xanthinoxidase-Hemmer (Allopurinol, Febuxostat)

  • bei Patienten ohne eingeschränkte Nierenfunktion Allopurinol vorziehen
  • Startdosis von Allopurinol bei 100mg/Tag, alle zwei bis fünf Wochen um 100 mg/Tag (bis zu 900mg) erhöhen, bis der Harnsäurezielwert erreicht ist. Nur 28% erreichen Therapieziel mit 300mg aber 78% mit 600mg!
  • Bei eingeschränkter Nierenfunktion Allopurinol-Dosis der Kreatinin-Clearance anpassen
  • Wenn Nierenfunktion unter Allopurinol besser wird, Dosierung erhöhen
  • Cave DRESS
  • Wen Serumharnsäurezielwert mit Allopurinol nicht erreicht wird, Wechsel zu Febuxostat (Febuxostat erreicht Harnsäurezielwert häufiger). Nicht-purin basierter XO-Hemmer. Keine Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz (KreaCl≥30). Dosierung: 40mg 1x/d, nach 2-4 Wo Steigerung auf 80mg/d falls Harnsäure >360umol/l
  • Febuxostat kann bei Patienten mit leichter oder mittelschwerer Nierenfunktionseinschränkung ohne Dosisanpassung eingesetzt werden.

WICHTIG: https://medicalforum.ch/de/det...

Kutane Hypersensitivität auf Allopurinol: dosisabhängig (DRESS)

Diese Nebenwirkung ist potentiell schwerwiegend (bis zur toxischen epidermalen Nekrolyse führend). Es bestehen bekannte Risikofaktoren, die dazu prädisponieren: hohe initiale Allopurinol-Dosis, Niereninsuffizienz sowie ethnisch-genetische Faktoren, vor allem bei Individuen aus Asien (Korea, Thailand, China [Han-Volk]), die gehäuft den HLA-Genotyp B*5801 aufweisen. Letzterer sollte bei allen Individuen mit diesem Hintergrund bestimmt und bei seinem Vorliegen ein Allopurinol-Verbot verhängt werden.

Eine kanadische Studie [1] bestätigt, dass besonders bei chronischer Niereninsuffizienz eine tiefe Dosis zu Beginn von Vorteil ist. Bei einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) unter 60 ml/min waren die kutanen Nebenwirkungen nur halb so häufig, wenn die Anfangsdosis von Allopurinol bei ≤100 mg/Tag als wenn sie darüber lag (jeweils mehr als 20 000 Individuen in beiden Dosisgruppen). Die absolute Häufigkeit war nicht hoch: Inzidenz von 0,2% bei einer Startdosis ≤100 mg versus 0,4% bei einer von >100 mg.

Eine Faustregel besagt, dass die initiale Allopurinoldosis nicht über 1,5 mg pro ml/min eGFR (geschätzte GFR) liegen sollte. Aber auch bei Nierengesunden sollte man nicht wie früher üblich mit 300 mg beginnen. Wie kürzlich berichtet [2], lohnt es sich, von tiefen Dosen ausgehend einzutitrieren, bis der Harnsäurezielwert erreicht ist (Selbsttestungen durch die behandelte Person oder in der Hausarztpraxis).

1 Am J Kidney Dis. 2022, doi.org/10.1053/j.ajkd.2022.04.006.

2 Swiss Med Forum. 2022, doi.org/10.4414/smf.2022.09143.


Urikosurika

  • (Probenecid, Lesinurad) als Zweitlinientherapie empfohlen allein oder in Kombination mit Allopurinol
  • Nicht bei Nierensteinen
  • Probenecid (Santuril®): auch als Monotherapie möglich. Dosis initial 2x250mg, nach 1 Wo 2x500mg/d. Kontraindiziert bei Niereninsuffizienz/Nephrolithiasis
  • Lesinurad in Kombination mit Allopurinol indiziert, falls Serumharnsäure-Zielwerte mit Allopurinol allein nicht erreicht werde, Dosis von Lesinurad beträgt 200 mg 1 × täglich (morgens), nur in Kombination mit Allopurinol. Lesinurad (Zurampic®): URAT1 Inhibitor, zugelassen in Kombination mit Allopurinol. Dosis 200mg/d, kein Therapiebeginn bei Kreatinin Clearance <45

Pubmed

UpToDate

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Video


Web:

ACR-EULAR Gout Classification Criteria Calculator

Gout Image Gallery

Medscape

Arthritis Foundation Gout Symptoms

NIAMS Fast Facts

Gout diet - MayoClinic

Gicht und Pseudogicht - Patientenbroschüre Rheumaliga Schweiz (German)


AWMF Richtlinien

DGRH Gicht

DEGAM Gicht


Links zu den Medikamenten:

Pubmed

UpToDate

Web:

WebMD

Medscape

Antihyperuricemic agents

American Family Physician